Die André Sichtweise
Fotografien von André Köthur

Gabelfabrik „Carl Kattwinkel“

Im August 2002 – es wäre das Jahr des 100jährigen Bestehens am Standort Kierspe gewesen – hatte ich die Gelegenheit, die einstigen Gebäude der traditionsreichen Gabelfabrik „Carl Kattwinkel“ in Kierspe zu erkunden. Ich habe mich etwa drei Stunden lang dort aufgehalten und mehr als 200 Fotos gemacht, von denen ich einen kleinen Teil hier zeigen möchte.

Zur Geschichte des Unternehmens

Gründung und erste Jahrzehnte

Gegründet wurde die Firma im Jahre 1860, also mitten in der Epoche der Gründerzeit. Der Firmensitz war zunächst Brügge, der Umzug nach Kierspe erfolgte 1902. Zu den Erzeugnissen der Fabrik gehörten zunächst nur die so genannten Afrika-Spaten in verschiedenen Ausführungen, die ausschließlich für den Export in die afrikanischen Kolonien bestimmt waren.

Erst 1928 begann man damit, sich mit der Produktion von Gabeln und Hacken ein zweites Standbein zu schaffen. Durch hohe Qualität und kostengünstige Produktion gelang es schließlich, mit den Gabeln aus Kierspe unter dem Markennamen „Flügelrad“ am Markt erfolgreich zu sein und sich gegen die zu der Zeit bereits gut etablierte Konkurrenz zu behaupten.

Von Kierspe in die ganze Welt

Die Herstellung von Gabeln ist relativ aufwendig und erfordert viel handwerkliches Geschick. Jede Gabel wird aus einem einzigen Stück Gabelstahl gefertigt, indem jeder Zinken einzeln ausgewalzt wird. Der ganze Vorgang muß zügig erfolgen, denn der Stahl kühlt rasch ab und kann dann nicht mehr bearbeitet werden. Weitere Arbeitsschritte umfassen dann z. B. das Härten (zunächst im Öl-, später nur noch im Salzwasserbad), Anspitzen, Sandstrahlen, Lackieren und schließlich das Anstielen der Gabeln.

Zu den wichtigsten inländischen Abnehmern zählten u. A. die Deutsche Bundesbahn (hauptsächlich Steingabeln, die für den Gleisbau benötigt werden) und die großen Einkaufsgesellschaften. Zeitweise wurden fertige Grabegabeln sogar einzeln verpackt an Versandhäuser geliefert. In Spitzenzeiten produzierten knapp 50 Mitarbeiter mehrere Hundert Gabeln pro Tag, die von Kierspe aus in die ganze Welt gingen.

Das Ende

Der immer größer werdende Druck durch billigere Konkurrenz aus dem Ausland zwang den Inhaber im Spätsommer 1984 dazu, die Reißleine zu ziehen und die Produktion nach 124 Jahren einzustellen. Ein Teil der Maschinen wurde noch in die Schweiz verkauft, der Rest wurde seitdem – genau wie das Gebäude – mehr oder weniger „sich selbst“ überlassen.

Dementsprechend präsentierte sich das Fabrikgelände im August 2002: Stark zugewuchert, das Dach teilweise eingestürzt, und viel Vandalismus. Die umliegende Wohngegend war mittlerweile eine verkehrsberuhigte Zone mit Spielstraßen und gepflasterten Wegen geworden, man konnte sich nur noch schwer vorstellen, daß dort einmal lebhafter Lieferverkehr per LKW zwischen Gabelfabrik und dem Kiersper Bahnhof stattgefunden hat.

Der gesamte Gebäudekomplex bestand aus einer großen Werkshalle und zwei kleinen Schmiedehallen, einer Werkstatt, einem Aufenthalts- und Umkleideraum sowie weiteren kleinen Neben- und Lagerräumen. Zahlreiche Anbauten und Erweiterungen zeugten von der raschen Expansion der Fabrik in den Blütezeiten der eisenverarbeitenden Industrie. Die Büroräume waren seit jeher im Wohnhaus der Inhaberfamilie untergebracht, das auf einem unmittelbar an das Firmengelände angrenzenden Grundstück steht.

Bei meiner Erkundung des Geländes stieß ich noch auf viele Relikte vergangener Tage: Schablonen für die Beschriftung der Übersee-Kisten mit z. B. Daressalam oder Loanda, viele Vormaterialien und auch noch größere Mengen Afrika-Spaten. Aus diesen Produktionsresten hat der Künstler Waldemar Wien den »Spatenbrunnen« erschaffen, der vor dem Kiersper Rathaus steht und an die Zeiten kolonialer Ausbeutung erinnern soll.

Vielen Dank an Herrn Kattwinkel und an den Heimatverein Kierspe (externer Link), die mir bei der Informationsrecherche für diese Seite sehr behilflich waren.

Bildergalerie:

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